
„Brechen wir aus!“
Leokadia Justman sagt am Abend des 18. Januar 1945 zu ihrer Freundin und Mitgefangenen Marysia Fuks:„Brechen wir aus!“. Die beiden klettern über die Schuttberge des von Bomben schwer beschädigten Innsbrucker Polizeigefängnisses und stehen auf dem Südtiroler Platz vor dem Bahnhof. Damit beginnt der letzte Teil der Flucht der jungen jüdischen Frauen aus Polen, der mit der Befreiung durch amerikanische Truppen am 8. Mai 1945 in Lofer endet.
Leokadia Justman hat die nationalsozialistische Verfolgung überlebt. Nach dem Krieg schreibt sie ihre Geschichte auf und berichtet über die dramatischen sechs Jahre in Polen und Tirol. Mit Mut, Intelligenz genz und Glück entkommt sie immer wieder – zunächst mit ihren Eltern, dann allein – dem sicheren Tod. Hier in Innsbruck findet sie dabei unerwartete HelferInnen: Polizisten, Gefängniswärter und widerständige Frauen beschützen sie, teilweise unter Lebensgefahr. Acht dieser Personen werden seit 1980 von der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.
Ein Lesebuch für Interessierte
Der Text von Leokadia Justman erscheint nun 2025 erstmals in deutscher Sprache. Zugleich ist es der erste literarische Text einer Holocaust-Überlebenden aus Tirol. In ihm schildert eine verfolgte 24-jährige Frau ihre Sicht der Dinge, ihre Ängste, die Trauer um die im Vernichtungslager Treblinka ermordete Mutter und den im KZ Reichenau ermordeten Vater, die tägliche Bedrohung, aus dem Gefängnis auf die Deportationslisten in die Todeslager zu kommen.
Dazwischen wird auch einmal gealbert und gelacht, die extreme Anspannung, sich mit den Innsbrucker Polizisten und Gefängniswärtern gutzustellen und doch alle möglichen Annäherungen zu vermeiden, ist aber immer präsent. Der Gefängnisdirektor Wolfgang Neuschmid und Beamte der Polizei versuchen die mörderischen Pläne der Gestapo zu sabotieren, indem sie die jungen Frauen als unabkömmlich in der Polizeiküche bezeichnen. Zu guter Letzt gewährt ihnen ein Polizist nach ihrem Ausbruch Unterschlupf, ein anderer hilft bei der Besorgung falscher Papiere, die bei der Flucht nach St. Martin bei Lofer helfen und bis Kriegsende Schutz bieten.
Quelle für Forschende
Leokadia Justman ist so präzise in ihren Erinnerungen, dass eine ganze Gruppe lokaler ForscherInnen ein Jahr lang damit beschäftigt war, die in ihrem Text enthaltenen Fakten mit vorhandenen und neuen Quellen abzugleichen. Für die Ausstellung im Tiroler Landhaus gelang auf Basis alter Pläne im Stadtarchiv in Verbindung mit Justmans genauen örtlichen Schilderungen eine dreidimensionale Rekonstruktion des völlig aus dem städtischen Erinnerungsbogen gefallenen Polizeigefängnisses „Sonne“.
Im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts rücken – in Zusammenarbeit mit der Familie von Leokadia Justmans Sohn Jeffrey Wisnicki – nun das polnische Original und andere Texte von Justman in den Fokus. Auch für die unmittelbare Nachkriegszeit sind neue Informationen in ihrem Buch zu finden: Sie fungierte ab Mitte 1945 als erste Sekretärin des bisher wenig erforschten Jüdischen Hilfskomitees, das sich nach der Befreiung als Anlaufstelle für Displaced Persons etablierte und der Vorläufer der von Rudolf Brüll etwas später wieder gegründeten Israelitischen Kultusgemeinde war.
„Wir brechen aus!“
am 4. Februar 2025, um 18.00 Uhr
im Plenarsaal des Innsbrucker Rathauses, 6. Stock (Lift in den RathausGalerien)