See-Hotel am Hungerburgboden, um 1925
See-Hotel am Hungerburgboden, um 1925

Geschichten aus der Geschichte der Hungerburg

Stillstand: Auf der Hungerburg ist’s ein Fremdwort. Da diskutiert man nicht nur über neue attraktive Bauvorhaben und neue invasive Pflanzenarten; man rückt auch alte Geschichten in ein neues Licht. Von Johann Holzner

Die Königin vom Bäckerbühel

Sie hieß Midi, Tante Midi. Sie wohnte in St. Nikolaus, in der Bäckerbühelgasse, heute würde man sagen: in eher bescheidenen Verhältnissen. Aber einmal im Jahr gab sie ein großes Fest. Ein Fest für Kinder, in einem langgestreckten Hinterhof. Ein Fest, an dem alle, die kamen, auch mitwirken mussten oder durften; da gab es also schräge Flötenkonzerte, Auszüge aus Zirkusnummern oder Szenen aus Theaterstücken, es wurden Gedichte vorgetragen, Rätsel aufgelöst, Luft- und Lustballons losgelassen, am Ende waren sogar sportliche Glanzleistungen zu bewundern. Dann jedoch folgte der Schluss- und Höhepunkt: Jedes Kind bekam eine Salzburger mit Senf und eine Kaisersemmel. Noch Tage, noch Wochen danach hatten alle viel zu erzählen.

Ein schmaler Sektor aus einem historischen und sozialen Raum, in dem es damals, in der Nachkriegszeit, noch lange und kalte Winter gab. Fredi Püls, der legendäre Goalie des Innsbrucker Eishockey-Vereins, schleppte für Menschen, die das selber nie geschafft hätten, Kohlensäcke bis vor die Haustür. Alois Lugger war seit kurzem Innsbrucker Bürgermeister. Das Fest des Jahres war und blieb über viele Jahre das Fest der Tante Midi, das schönste Fest in jenem Raum, den man Jahrzehnte später Seelsorgeraum Hötting – Hungerburg – St. Nikolaus nennen sollte.

Die Theresienkirche auf der Hungerburg.
Die Theresienkirche auf der Hungerburg.

Verlusterfahrungen und Glücksfälle

Wenn Menschen, die seit Jahrzehnten auf der Hungerburg leben, sich erinnern an Geschichten aus der Kindheit, dann reden sie nicht selten von Verlusterfahrungen: Damals gab es noch ein Lebensmittelgeschäft und einen Friseur, einen Metzger und zwei Bäcker, eine Tischlerei, mindestens acht Wirtshäuser und außerdem einen Pfarrer, der ganz allein zuständig war für die Hungerburg, kurz, es gab Begegnungszonen. Mittlerweile gibt es sie alle nicht mehr, nur ein einziges Gasthaus noch, alle anderen Treffpunkte sind weggefallen. Verlustanzeigen also auf der einen Seite.

Auf der anderen Seite aber eine steile Kurve nach oben: Die neue Hungerburgbahn fährt nicht mehr zur Kettenbrücke und damit geradewegs ins Abseits, sondern ins Stadtzentrum, und die Buslinie J verbindet die Hungerburg mit Igls, untertags alle zehn Minuten; von den Grundstückspreisen hier ganz zu schweigen. – Wenn man noch weiter zurückblickt, dann sieht man, dass es seit 1900 viele große Vorhaben und schöne Pläne gab, manche davon zwar bald wieder begraben werden mussten, etliche aber doch schließlich realisiert werden konnten. Da gibt es viele Geschichten, die neu erzählt werden können, manche auch, die man später erfunden hat.

Eine Kurzfassung aller dieser Geschichten vermittelt uns inzwischen ChatGPT: „Die Hungerburg entwickelte sich mit der Zeit zu einem eigenständigen und teuren Stadtteil von Innsbruck, geprägt von einer reichen Geschichte und touristischer Bedeutung.

Blick von der Hungerburg, 1920-1930
Blick von der Hungerburg, 1920-1930

Schöne und schlimme Geschichten

Der „Seehof“ z. B. war einmal als Gasthof geplant, 1912 wurde er eröffnet, unmittelbar vor dem ehemaligen Spörr’schen Steinbruch, wo man einen kleinen Badesee anlegen konnte, der von einem Wasserfall gespeist wurde; dahinter baute man noch einen Aussichtsturm, eine Ruine, die von allem Anfang an aussah, als stünde sie da schon seit dem Mittelalter, und die ohne weiteres nur mit einem Boot erreichbar war: Die Brüder Karl und Franz Schwärzler, die diese Anlage errichtet haben, hatten Visionen. Allerdings, bald darauf kam der Große Krieg, die Illusionen sind schnell zerplatzt.

Der Innsbrucker Tourismuspionier Sebastian Kandler (1863–1928) versuchte schon seit der Jahrhundertwende, die Hungerburg zu einem Sommerfrische-Zentrum auszubauen. Seit 1904 wurde das Gebiet als  künftiger Kurort vorgestellt. Villen, Landhäuser, Parkanlagen sollten hier entstehen, Einheimische und Gäste sollten sich gleichermaßen in diesem von der Natur so sehr bevorzugten Gelände wohlfühlen. Mit der Eröffnung der Hungerburgbahn und mit dem von Kandler betriebenen Ausbau des nunmehr von ihm übernommenen Hotels Mariabrunn sollte die Besiedlung des gesamten Landstrichs raschestens erfolgen. Kandler errichtete noch etliche Gebäude, ständig hart mit Gewinn und Konkurs kämpfend; sein großes Vorbild war St. Moritz. Im Ersten Weltkrieg allerdings brach auch sein Imperium zusammen. Das Ende aller Visionen? Manche träumen von einem Haus, wie die Tante Midi es zu ihrer Zeit geführt hat.

Buchtipp aus dem Stadtarchiv

Matthias Egger, Johann Holzner: "Hungerburg. Architektur – Kultur – Natur" Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs, Neue Folge, Band 80
29,90 Euro
ISBN 978-3-7030-6629-0
244 Seiten, Klappenbroschüre

Auch erhältlich im www.innsbruck.gv.at/shop