Zählen, um zu helfen
Wie viele Menschen in Innsbruck ohne eigene Wohnung leben, weiß derzeit niemand genau. Zwar verfügen die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe über langjährige Erfahrung und Schätzwerte – belastbare, vergleichbare Zahlen fehlen jedoch. Das soll sich nun ändern: Von 6. bis 24. Oktober 2025 nahm die Stadt Innsbruck an der europaweiten Erhebung EU City Count Homelessness teil. Ziel der von der Europäischen Kommission geförderten Initiative ist es, erstmals standardisierte Daten über Obdach- und Wohnungslosigkeit in europäischen Städten zu gewinnen. Der Innsbrucker Beitrag ist Teil eines Forschungsprojekts, das von der Katholischen Universität Leuven (Belgien) geleitet wird. In Österreich koordiniert Dr. Philipp Schnell von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die wissenschaftliche Umsetzung.
Ein Blick hinter die Zahlen
Erfasst werden in Innsbruck alle Menschen ab 16 Jahren, die gemäß ETHOS – der Europäischen Typologie für Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit und prekäre Wohnversorgung, entwickelt vom Europäischen Dachverband der Wohnungslosenhilfe (FEANTSA) – als wohnungslos gelten. Dazu zählen Menschen, die auf der Straße leben, Personen in Not- und Übergangsunterkünften sowie Menschen, die vorübergehend bei Freunden oder Bekannten unterkommen.
Die Befragungen fanden in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, Beratungsstellen, Tageszentren und niederschwelligen Angeboten statt. Auch eine Umfrage im öffentlichen Raum war Teil der Erhebung. Insgesamt wurden 1.366 Fragebögen ausgefüllt – 1.103 von SozialarbeiterInnen und 263 gemeinsam mit KlientInnen. Diese Daten werden derzeit bereinigt und analysiert. Die Ergebnisse werden im Frühjahr 2026 erwartet und sollen zunächst auf EU-Ebene veröffentlicht werden. Anschließend folgt ein spezifischer Bericht über die Situation in Innsbruck.
Wissenschaft als Grundlage
Der für Soziales ressortzuständige Vizebürgermeister Georg Willi betont die Bedeutung der Datenerhebung: „Wenn wir Obdach- und Wohnungslosigkeit wirklich wirksam bekämpfen wollen, brauchen wir eine fundierte Grundlage. Erst wenn wir wissen, wie viele Menschen betroffen sind und in welchen Lebenssituationen sie sich befinden, können wir zielgerichtet handeln und Unterstützungsangebote dort setzen, wo sie gebraucht werden.“
Die gewonnenen Erkenntnisse sollen es der Stadt Innsbruck ermöglichen, künftig evidenzbasierte Strategien zur Prävention und Überwindung von Wohnungslosigkeit zu entwickeln. Damit wird die Grundlage geschaffen, soziale Maßnahmen langfristig wirksamer und gerechter zu gestalten.
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Soziale Verantwortung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Nur wenn Stadt, Einrichtungen und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, schaffen wir Perspektiven für Menschen ohne sicheren Wohnraum. Vizebürgermeister Georg Willi |
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Ein starkes Netzwerk für Innsbruck
Der Innsbrucker City Count wurde von einer Steuerungsgruppe aus VertreterInnen der Stadt, der Innsbrucker Soziale Dienste GmbH (ISD), der Forschung und der Wohnungslosenhilfe begleitet. Zahlreiche Organisationen waren in die Erhebung eingebunden – von Notunterkünften über Streetwork bis hin zu Beratungs- und Betreuungsangeboten. Damit die Teilnahme auch für die Betroffenen einen unmittelbaren Nutzen bringt, erhielt jede befragte Person einen 5-Euro-Einkaufsgutschein. Unterstützt wurde diese Aktion durch ein Sponsoring der Tiroler Firma MPREIS in Höhe von 300 Euro.
Ein Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit
Mit der Teilnahme am EU-Projekt setzt Innsbruck ein klares Zeichen: Wohnungs- und Obdachlosigkeit sollen sichtbar gemacht, verstanden und letztlich überwunden werden. Die Erhebung ist dabei kein Selbstzweck, sondern der Beginn eines langfristigen Prozesses. Auf Basis der Ergebnisse sollen künftig neue Angebote, bedarfsgerechte Hilfsstrukturen und präventive Maßnahmen entstehen. So zeigt sich: Die Stadt Innsbruck handelt – wissenschaftlich fundiert, vernetzt und mit dem klaren Ziel, Menschen in schwierigen Wohnsituationen nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern gezielt zu unterstützen. MF
Notschlafstelle Tiroler Soziale Dienste (Schusterbergweg 73)
- Öffnungszeiten: Täglich 17.30 Uhr bis 9.00 Uhr, ganzjährig geöffnet
- Angebot: Ganzjährige Notschlafstelle, inklusive warmem Abendessen, Frühstück, Dusch- und Waschmöglichkeiten, Sozialberatung
- Unterkünfte
- Hilfsangebote
Notschlafstelle Rotes Kreuz Innsbruck (Richard-Berger-Straße 10)
- Öffnungszeiten: Täglich von 18.00 Uhr bis 8.00 Uhr, Einlass bis 23.00 Uhr
- Ganzjähriger Betrieb ab 1. November 2025
- Angebot: Schlafplatz, warme Mahlzeit, Dusch-/Hygienemöglichkeiten, soziale Betreuung vor Ort


