Freizeit im SOS-Mädchenhaus Innsbruck.
Freizeit im SOS-Mädchenhaus Innsbruck.

SOS-Kinderdorf Mädchenwohnheim

SOS-Kinderdorf blickt auf eine über 75-jährige Geschichte zurück. Bereits früh begann man mit der Begleitung von Jugendlichen in ein selbstbestimmtes Leben – auch für Mädchen. Zum Beispiel im Mädchenwohnheim in der Innenstadt. Von Julian Ascher und Sabrina Schober

Das erste SOS-Kinderdorf wurde 1949 in Imst gegründet. Bald stand man vor der Frage, wie man dem Kinderdorf „entwachsene“ Jugendliche weiterhin gut unterstützen und sie in ihre Selbstständigkeit begleiten könnte. Man dachte an eine betreute Wohneinrichtung, die den Jugendlichen zusätzlich umfängliche Ausbildungsangebote zugänglich machte. Dies rückte Innsbruck ins Zentrum der Überlegungen. Die erste Einrichtung von SOS-Kinderdorf für Jugendliche wurde 1955 im Innsbrucker Stadtteil Amras (Egerdach) errichtet und 1956 als „SOS-Lehrlings- und Studentenhaus Egerdach“ eröffnet. Allerdings war das Haus nur den männlichen Jugendlichen vorbehalten. Mädchen verblieben anfänglich während der Ausbildung in ihren SOS-Kinderdorf-Familien. 1966 folgte dann ein eigenes Mädchenwohnheim (historischer Begriff, heute Wohngruppe für Mädchen) in der Blasius-Hueber-Straße.

Das erste Jugendhaus für Mädchen

Am 29. November 1966 öffnete das Wohnheim schließlich seine Tore, und zwar im vierten und fünften Stock des Wohnhauses Nummer 16, einem Mehrparteienhaus. Hier konnten SOS-Kinderdorf-Mädchen ab 14 Jahren während der Zeit ihrer Ausbildung wohnen. Es handelte sich hauptsächlich um Mädchen, die studieren oder eine höhere Schule besuchen wollten oder in der Nähe ihrer SOS-Kinderdörfer keinen geeigneten Lehrplatz fanden. Zunächst zogen dort 14 Mädchen aus ganz Österreich ein, die Ausbildungen zur Kindergärtnerin, Krankenschwester, Verkäuferin, Pflegerin, Konditorin etc. belegten.

Die Mädchen lebten wie in einer modernen WG zusammen und teilten sich die Haushaltsaufgaben auf. Zwischen den Jugendlichen und deren Betreuerinnen entwickelten sich oft tiefe Freundschaften. Die Mädchen hatten hier jedoch nicht nur einen Schlafplatz in der Form von persönlich eingerichteten Zweibettzimmern, sondern wurden auch anderweitig individuell betreut und gestärkt. Zusammen unternahm man einiges: Reiten, Tanzen, Ausflüge, Theater etc. Unternehmungsmöglichkeiten waren in der Stadt zudem nicht weit, gegenüber dem Haus befand sich ein Kino und im Erdgeschoss selbst war ein Café angesiedelt.

Außenansicht des Wohnhauses.
Außenansicht des Wohnhauses.

Natürlich war es nicht immer die heile Welt. Diskussionen über Ausgehzeiten, erste Beziehungen, Aufklärung oder Grenzen führten zu Reibereien, wie bei allen anderen Familien. Auch die oftmals traumatische Kindheit der Bewohnerinnen spielte dabei eine Rolle. Die Betreuerinnen nahmen die Mädchen, so wie sie waren, und versuchten gemeinsam mit ihnen, Dinge aufzuarbeiten und miteinander eine Zukunft zu bilden und eine angenehme Atmosphäre für alle zu schaffen. Auch am Angebot in der Wohngemeinschaft wurde laufend gearbeitet und es wurde stetig erweitert. So wurden bereits im Jahr 1967 77.200 Schilling investiert.

Henriette Rieder (1935–2021)

Betreut wurden die Mädchen von Henriette Penker (verh. Rieder), die ebenfalls im Haus wohnte. Sie bezog die Mädchen bereits beim Planungsprozess mit ein. Dafür besuchte sie Kinderdörfer in ganz Österreich, um die Jugendlichen vorab kennenzulernen. Ihr war es wichtig, den Mädchen das zu ermöglichen, was sie selbst gerne gehabt hätte. Weiters lag ihr die Gastfreundschaft sehr am Herzen, weswegen es zu vielen Feiern, Besuchen und Events in der Hueber-Straße kam.

Henriette war ausgebildete Sozialarbeiterin und von 1965 bis 1982 Leiterin der Mädchen-WG. Danach wechselte sie bis 1986 ans Sozialpädagogische Institut von SOS-Kinderdorf und übernahm 1988 die Koordinierung und Leitung der „Mütterwerbung“ (Bewerbung von neuen Kinderdorfmüttern). Von 1991 bis zur Pensionierung 1996 begann sie den Aufbau und die Durchführung von Frauenseminaren. Sie war nicht nur eine der Pionierinnen von SOS-Kinderdorf, sondern hat ihr Leben dem Einsatz für Mädchen und Frauen innerhalb der Organisation gewidmet.

Freizeitgestaltung.
Freizeitgestaltung.

Wohngemeinschaften heute

Auch heute spielt die Begleitung von Jugendlichen in ein selbstständiges Leben eine zentrale Rolle bei SOS-Kinderdorf. Junge Menschen werden individuell unterstützt – viele von ihnen mit belastender Vergangenheit. Die Angebote reichen von sozialpädagogischer bis hin zu intensiver therapeutischer Betreuung. Das Betreute Wohnen in Innsbruck etwa bietet in eigenen Wohnungen einen geschützten Rahmen, in dem Jugendliche schrittweise lernen, Verantwortung zu übernehmen und ihren Alltag eigenständig zu meistern.