
Vom Rettungsheim zur Gaststätte
von Ernst Pavelka
Beim „Stieglhaus“ handelt es sich um das zweite von der Rettungsgesellschaft in Innsbruck errichtete Gebäude. Das erste Haus in der Welsergasse 7a (heute Wilhelm-Greil-Straße 23, „Audioversum“) war im Oktober 1927 nach einjähriger Bauzeit feierlich eröffnet worden. Es hatte die seit 1907 im Rathaus untergebrachte Rettungsstation abgelöst. Um einen Kredit von 265.000 Schilling tilgen zu können, der für die Finanzierung eines Teils der Baukosten aufgenommen werden musste, wurde das Haus auf einen möglichst hohen Ertrag durch Vermietung von Wohnungen, Geschäftslokalen und den Betrieb eines Kinos, der im März 1928 eröffneten „Kammerlichtspiele“, ausgelegt.
Bereits Anfang November 1927 überließ die Stadtgemeinde der Rettungsgesellschaft für einen „jährlichen Anerkennungszins“ von 50 Schilling gegen Widerruf das südliche Nachbargrundstück als Schrebergarten. Als im Frühjahr 1930 ruchbar wurde, die Stadt Innsbruck wolle das Grundstück verbauen, beschloss der Ausschuss der Rettungsgesellschaft, den 508 Quadratmeter großen Nachbargrund trotz angespannter finanzieller Lage um 40.000 Schilling zu erwerben. Dreiviertel des Kaufpreises wurden wieder über die Innsbrucker Sparkasse finanziert, der Rest sollte durch Erträge der Kammerlichtspiele aufgebracht werden. Geplant war die Errichtung eines Wohnhauses mit Mittel- und Kleinwohnungen sowie zwei Ladenlokalen im Erdgeschoss.
Das Stieglbräu entsteht
Hintergrund für die geplante Nutzung des Gebäudes war, den Rettungsbetrieb auf stabile wirtschaftliche Beine zu stellen, da die Stadt Innsbruck aufgrund der Weltwirtschaftskrise ihre jährliche Subvention an die Rettungsgesellschaft komplett einstellte. Ebenso fielen finanzielle Unterstützungen des Landes Tirol weg und weitere Zuwendungen reduzierten sich ebenfalls. Vor demselben Hintergrund wurde der 1930 erworbene Grund im April 1932 von arbeitslosen Sanitätern gegen ein Entgelt von acht Schilling pro Kopf und Tag hergerichtet. Finanziell ermöglicht wurde der Neubau schließlich durch die Baufirma Josef Retter, die mit der Errichtung des Baues beauftragt wurde und sich bereiterklärte, die gesamte Bausumme mit einer Verzinsung von fünf Prozent auf fünf Jahre als Darlehen unkündbar zur Verfügung zu stellen.
Am 6. Juni 1933 wurde mit dem Bau begonnen und nach nur fünfmonatiger Bauzeit konnte im Oktober 1933 beim Stadtmagistrat um die Baurevision und die Erteilung der Benützungsbewilligung für den „in allen seinen Teilen fertiggestellt[en] Neubau in der Welsergasse“ angesucht werden. Wenige Tage später wurde im Beisein der Presse der Schlüssel für das knapp 320.000 Schilling teure Gebäude übergeben. Anfang November zogen die ersten MieterInnen in die zwölf mit fließendem Warm- und Kaltwasser sowie Gasanschluss ausgestatteten Wohnungen ein.

Wo sind die Gewerbetreibenden?
So schnell man MieterInnen für die Wohnungen gefunden hatte, so zäh gestaltete sich die Suche nach ebensolchen für die beiden Verkaufslokale. Der Ausschuss der Freiwilligen Rettungsgesellschaft nahm deshalb Kontakt mit der Stieglbrauerei in Salzburg zur Errichtung eines Gastbetriebes unter Übernahme der Geschäftslokale auf. Gleichzeitig wurde die Vermietung dieser noch einmal inseriert. Im Oktober 1934 gab es Verhandlungen mit Interessenten. Nachdem diese nicht von Erfolg gekrönt waren, suchte die Rettungsgesellschaft im März 1935 selbst um die Gastgewerbekonzession an. Diese wurde von Bürgermeister Franz Fischer anstelle einer Subvention angeboten. Am 19. Juli wurde dem Ansuchen um Baubewilligung und gewerbepolizeiliche Genehmigung „zur Errichtung einer Bierstube samt Schank- und Toilettenanlage vom Stadtmagistrat stattgegeben. Die dafür nötigen Umbauarbeiten wurden wieder an die Baufirma Retter vergeben. Am 20. August 1935 wurde das „Stieglbräu“ eröffnet. Im folgenden Jahr wurde die Gastwirtschaft durch die Firma Retter erweitert.

Das Bier fließt
Bereits im Juli 1935 war mit der Stieglbrauerei in Salzburg ein Liefervertrag auf 15 Jahre abgeschlossen worden. Als einstweiliger Pächter wurde Max Ambach bestellt, ein Pachtvertrag aber erst im Oktober unterzeichnet. Die Mindestpacht betrug monatlich 500 Schilling für eine Liefermenge von 30 Hektoliter Bier. Bis Ende September erbrachte die Pacht bereits 1.800 Schilling, was als „voller Erfolg“ gewertet wurde.
Haus und Gastwirtschaft standen bis 1969 im Eigentum der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck. Danach wurde das Haus um fünf Millionen Schilling an die Stieglbrauerei verkauft. Der Erlös floss der Finanzierung des gerade in Bau befindlichen Hausbaues der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck, des Wacheneubaues am Sillufer zu.