
Eine (fast) vergessene Pionierin des Frauensports in Tirol
von Karl Graf
Turnvereine als Förderer
Am ehesten war die Öffnung für den Frauensport den heimischen Turnvereinen zuzutrauen gewesen, die in ihren Reihen Frauen ab 1900 allmählich akzeptierten. Dennoch waren für sie bei Turnfesten, im Unterschied zu den Männern, keine Wettkämpfe vorgesehen. Überwundene Krisen bewirkten immer wieder, dass neue Ideen plötzlich fruchtbare Nährböden fanden. Das Friedensdiktat nach dem 1. Weltkrieg war für die ÖsterreicherInnen drastisch, aber es wurden unter anderem demokratische politische Strukturen gebildet. Davon profitierten auch die Frauen, denn ihnen wurde, als eine der ersten weltweit, bereits 1918 das allgemeine Wahlrecht zugesprochen.
Fortschrittliche, sportorientierte Vereine wollten nun ebenfalls ein Zeichen setzen. Bei der ersten Jahreshauptversammlung des Innsbrucker Turnvereins (ITV) nach dem 1. Weltkrieg am 26. Februar 1919 registrierte man Erstaunliches: „Zeit und Umstände brachten es mit sich, auch den weiblichen Mitgliedern eine Vertretung im Turnrate einzuräumen“. Mit im Vorstand dabei war nun Aloisia (Luise) Geißler (1890–1977), die erste staatlich geprüfte Turnlehrerin Tirols. Ihr war es zu danken, dass sich Frauen und Mädchen nun auch sportlichen Zielen widmen durften.
Als erste davon Gebrauch machten die Leichtathletinnen. Eine Bühne dafür bekamen sie bereits 1921, als die ersten Tiroler Meisterschaften ausgetragen wurden. Dabei durften auch die Frauen um Titel kämpfen – die anderen Bundesländer zogen damit erst ab 1946 nach.

Leichtathletin widersetzte sich
Bei diesen Meisterschaften lief die Innsbruckerin Josefine („Pepi“) Kininger (1895–1983) den 100-Meter-Lauf in 13,0 Sekunden. Das wäre österreichischer Rekord und die Bestätigung ihrer Leistungsfähigkeit gewesen, als sie bei einem Meeting zuvor alle Wienerinnen besiegen konnte. Der österreichische Verband (ÖLV) war aber skeptisch und eine Prüfungskommission fand tatsächlich einen Haken: Die Laufbahn wies ein um ein paar Zentimeter zu großes Gefälle auf und Josefines Erfolg wurde nicht anerkannt. Über dieses Urteil waren die Tiroler Funktionäre sehr erbost und ließen die Leistung in den Tiroler Rekordlisten bestehen.
Erst in jüngster Zeit konnte Josefines Laufzeit von einem internationalen Forschungsteam in Relation gesetzt werden: Im Jahr 1921 lief nur eine einzige Frau die 100 m schneller als Josefine Kininger – und das weltweit! Immerhin wurde Josefine im Jahr 1922 zum ersten internationalen Rennen für Frauen nach Berlin eingeladen. Dort fanden die Deutschen Kampfspiele statt, sie gewann alle Vorläufe und wurde im Finale Vierte.

Bis dahin hatte sie schon eine erstaunliche Lebensgeschichte hinter sich. Ihr Vater war Bahnbediensteter in Lienz, wurde 1907 nach Innsbruck versetzt und bezog mit seiner Familie eine Dienstwohnung in der Amraserstraße. Josefine war damals zwölf Jahre alt. Schon damals musste sie ein sehr bewegungsfreudiges Mädchen gewesen sein und fand im ITV ein ausreichendes Betätigungsfeld. Ein herber Rückschlag waren für sie die Kriegsjahre 1914 bis 1918, denn alle Aktivitäten der Sportvereine kamen zum Erliegen. So konnte sie ihr außergewöhnliches Talent erst als junge Frau mit 25 Jahren nach dem Krieg zeigen.
Frauen in Wettkämpfen im Freien mit Männern und in kurzen Hosen waren jedoch in Österreich eine Neuheit außerhalb von Wien. Es kam daher des Öfteren zu Problemen. Sogar mit tätlichen Angriffen mussten etwa Radfahrerinnen rechnen, die sich bei ihren Ausflügen im Freien in Hosen zeigten, anstatt in langen Röcken. Schutz vor der Öffentlichkeit bot Josefine lediglich die Wettkampfstätte, die sich im abgeschlossenen Hof der Klosterkaserne befand.
Verheiratete Frau als Sportlerin
Am 23. April 1922 heiratete Josefine den Handelsangestellten Oskar Schulz (1888–1977), einen erfolgreichen Turner, den sie im ITV kennengelernt hatte. Zu den Deutschen Kampfspielen reiste sie also schon als verheiratete Frau. Ein Jahr später kam Sohn Oskar Schulz Junior zur Welt und im nächsten Jahr bestritt sie bereits wieder Wettkämpfe. Eine verheiratete Frau im Alter von knapp 30 Jahren mit Kind, die sich noch immer sportlich aktiv in der Öffentlichkeit zeigte, das blieb den damaligen Sportreportern wohl verborgen.
Oskar Schulz Junior (1923–2017) hatte den sportlichen Ehrgeiz seiner Eltern geerbt. Er wurde 1947 Akademischer Weltmeister im Langlauf und vertrat Österreich bei den Olympischen Spielen 1952 und 1956. Parallel dazu entwickelte er sich zu einem international bedeutenden Geologen und leitete als Professor der Universität Innsbruck die Abteilung Mineralogie und Petrographie von 1973 bis 1988.
