
Medizinerleben im Schatten der NS-Ideologie
Burghard Breitner, geboren 1884 in Mattsee, wuchs im Bundes land Salzburg auf. Noch als Schüler begann er mit der Abfassung literarischer Werke unter dem Pseudonym Bruno Sturm, das er als Reminiszenz an einen Förderer gewählt hatte. Nach seiner Schulzeit nahm er im Jahr der Veröffentlichung seines ersten Theaterstücks das Medizinstudium auf, währenddessen er in Graz dem schlagenden Corps Vandalia beitrat. Dieser Laufbahn, die er als Student in Wien und Kiel und nach seinem Wehrdienst vorübergehend als Schiffsarzt fortsetzte, widmete er sich letztlich hauptberuflich. Nach erster Kriegserfahrung als Arzt im Balkankrieg 1912/13 war er zu Beginn des Ersten Weltkriegs an der Ersten Chirurgischen Universitätsklinik in Wien tätig, von der er sich unverzüglich an die Front begab. Kurz darauf bereits in Kriegsgefangenschaft geraten, war er im sibirischen Kriegsgefangenenlager gleich sämtlichen anderen kriegsgefangenen Ärzten in der medizinischen Betreuung tätig. Nach Wien zurückgekehrt, wurde Breitner 1927 zum außerordentlichen Professor ernannt und 1932 schließlich auf die Professur nach Innsbruck berufen.
Breitner und die NS-Zwangssterilisierungen
Burghard Breitner war Vorstand der Innsbrucker Chirurgischen Universitätsklinik von 1932 bis 1955. Als Klinikleiter war Breitner mit der Einführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 1940 zur Zwangssterilisierung von männlichen Zivilpersonen und Strafgefangenen sowie zu sogenannten „freiwilligen Entmannungen“ offiziell „ermächtigt“ worden. Diese Eingriffe wurden auch an der Chirurgischen Klinik durchgeführt – nach aktuellem Forschungsstand zwar nicht von Breitner selbst, doch als Klinikleiter lag die Verantwortung bei ihm. Das zentrale Ziel der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik war die Schaffung eines „gesunden Volkskörpers“ – der durch die Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen geschaffen werden sollte, die als „minderwertig“ angesehen wurden. Neben der Internierung in Konzentrations- oder Arbeitserziehungslagern sowie der euphemistisch als „Euthanasie“ bezeichneten Ermordung von Menschen mit angeblichen Beeinträchtigungen, wurden Zwangssterilisierungen zur Verhinderung der Fortpflanzung eingeführt. Anders ausgedrückt: Der NS-Staat fällte die Entscheidung darüber, wer eine Familie gründen durfte. Ein von Dirk Rupnow geleitetes Forschungsprojekt beschäftigt sich mit dem Thema „Unfruchtbarmachung“ und „freiwillige Entmannung“ an den Innsbrucker Universitätskliniken und mit den Erbgesundheitsgerichten des Gaues Tirol-Vorarlberg.
Schriftsteller und Präsidentschaftskandidat
Der Hochschullehrer war Zeit seines Lebens in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aktiv. Einen größeren Bekanntheitsgrad erlangte er nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft nach dem Ersten Weltkrieg. Zu Lebzeiten war Breitner ein anerkannter Arzt und Lehrer. Seit seiner Jugendzeit war er auch als Schriftsteller tätig, verfasste unter anderem Gedichte und Theaterstücke. 1951 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten als Kandidat für den Verband der Unabhängigen (VdU). An der Universität Innsbruck wurde er im Studienjahr 1952/53 zum Rektor gewählt, ab 1950 war er Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes. Seine NSDAP-Mitgliedschaft ab 1939 stellte der zeitlebens deutschnational orientierte Breitner in der Nachkriegszeit als ihm unbekannt dar.
Erinnerungskultur in der Kritik
Die Benennung einer Straße nach ihm im Innsbrucker Stadtteil Reichenau anlässlich seines 10. Todestages 1966 sollte die Erinnerung an einen angesehenen und hoch geschätzten Arzt aufrechterhalten. Mehr als 50 Jahre später wurde die Art des Gedenkens allerdings hinterfragt und die Straßenschilder mit entsprechenden Hinweisen versehen. Breitner bekam ein städtisches Ehrengrab, dieser Sonderstatus wurde allerdings mittlerweile ebenfalls aberkannt.

Die Vorlesung versammelt ExpertInnen aus verschiedenen Disziplinen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Person Burghard Breitner im Kontext ihrer Zeit beleuchten und ihre verschiedenen Tätigkeitsfelder sowie den erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Umgang mit ihr beschreiben.
Die Vorlesung findet ab dem 5. Oktober 2021 immer dienstags von 18.30 bis 20.00 Uhr virtuell statt. Die Teilnahme ist kostenlos.
Zum Abschluss der Ringvorlesung ist für den 1. Februar 2022 eine prominent besetzte Podiumsdiskussion in den Ursulinensälen Innsbruck geplant.
Nähere Infos unter https://www.uibk.ac.at/events/info/2021/ringvorlesung-ns-medizin-kontext-und-nachgeschichte.html