(v.l.n.r.) Die HistorikerInnen Horst Schreiber und Barbara Hausmair, Kulturamtsleiterin Isabelle Brandauer sowie Heike Bablick und Karl-Heinz Machat von der Werkgemeinschaft mit der neuen Broschüre „Gedenkort Lager Reichenau: Geschichte und Zukunft“, die einen Überblick aktueller Forschungsergebnisse zum Lagerkomplex Reichenau bietet.
(v.l.n.r.) Die HistorikerInnen Horst Schreiber und Barbara Hausmair, Kulturamtsleiterin Isabelle Brandauer sowie Heike Bablick und Karl-Heinz Machat von der Werkgemeinschaft mit der neuen Broschüre „Gedenkort Lager Reichenau: Geschichte und Zukunft“, die einen Überblick aktueller Forschungsergebnisse zum Lagerkomplex Reichenau bietet.

Gedenken sichtbar machen

Neue Broschüre vermittelt Infos zum Lagerkomplex Reichenau

Eine neue Broschüre der Stadt Innsbruck macht den Lagerkomplex Reichenau sichtbar: Unter dem Titel „Gedenkort Reichenau: Geschichte und Zukunft“ finden sich darin Artikel namhafter Innsbrucker HistorikerInnen zur Geschichte des Lagers und dessen Opfer, zahlreiche Bilder und ein Interview mit der Werkgemeinschaft Heike Bablick–Ricarda Denzer–Karl-Heinz Machat–Hermann Zschiegner, mit der die Stadt Innsbruck das Projekt „Gedenkort Reichenau“ umsetzt. Die Broschüre hat eine gedruckte Auflage von 2.000 Stück und ist auch online verfügbar. Vizebürgermeister Georg Willi, Kulturamtsvorständin Dr.in Isabelle Brandauer und Stadtarchivar DDr. Lukas Morscher präsentieren das reichhaltige Begleitwerk zum historischen Gedenkprojekt – und freuen sich über das Interesse der Öffentlichkeit.

„Die Dimensionen der Verbrechen, die in der NS-Zeit in Innsbruck wie an unzähligen anderen Orten begangen wurden, sind prinzipiell unfassbar. Mit dem Gedenkort Reichenau möchten wir sie aber zumindest berührbar machen – und uns von den Geschichten der Menschen berühren lassen. So ist die neue Broschüre zur Geschichte des Lagerkomplexes auch ein Versuch, das Unbegreifliche greifbar zu machen. Durch penibel recherchierte Fakten zu den dort inhaftierten und ermordeten Menschen, den politischen Umständen und den historischen Bedingungen wird das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Stadt sichtbar. Danke an alle, die mit uns am Gedenken mitwirken – ob baulich, historisch, künstlerisch oder auch in der didaktischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Lagerkomplexes Reichenau“, betont der für Kultur ressortzuständige Vizebürgermeister Georg Willi.

„Erstmals können wir zahlreiche neue historische Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Mit unserer vorliegenden Broschüre werden die Ergebnisse des historischen Aufarbeitungsprozesses der letzten Jahre kompakt präsentiert. ‚Gedenkort Reichenau: Geschichte und Zukunft‘ stellt eine wertvolle Facette der Innsbrucker Erinnerungsarbeit dar, der sich in der Umsetzung befindende Gedenkort Reichenau eine weitere – aber der Prozess hört damit nicht auf, sondern muss stetig weitergeführt werden“, erklärt Kulturamtsleiterin Isabelle Brandauer.

„Von der Entstehung des Lagerkomplexes, über die Geschichten der ermordeten Menschen, die Nachnutzung des Areals oder die archäologischen Ausgrabungen bis hin zu Details zum neuen Gedenkort Reichenau: Unsere Autorinnen und Autoren haben großartige Arbeit geleistet, zahlreiche Aspekte der Lagergeschichte in unserer neuen Broschüre zu vermitteln. Informativ, detailliert – und immer im würdigen Andenken an alle Opfer des Lagerkomplexes“, so Lukas Morscher (Stadtarchiv Innsbruck).

Geschichte und Zukunft
Das Titelbild der Broschüre zeigt italienische Displaced Persons, die das Lager Reichenau am 18. Juni 1945 verlassen. Im ersten Artikel der Broschüre „Gedenkort Reichenau: Geschichte und Zukunft“ zeichnet die Historikerin Sabine Pitscheider, Mitglied der städtischen ExpertInnenkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“, ein detailreiches Bild der Innsbrucker Lagergeschichte: Von den ersten Lagern der Stadt, in denen auch zahlreiche Innsbrucker Unternehmen ihre Arbeiter gegen Zahlung einer Gebühr an die Innsbrucker Stadtverwaltung unterbringen konnten, über die Bemühungen des Gauleiters, einen zentralen Lagerkomplex im Osten der Stadt zu errichten, bis hin zur Zeit des „Arbeitserziehungslagers Reichenau“ der Gestapo ab 1941.

Letzteres ist auch Gegenstand des zweiten Artikels von Sabine Pitscheider, „Die Toten des AEL Reichenau“: Informationen über die 114 derzeit bekannten Menschen aus 13 Nationen im Alter von zwölf bis 86 Jahren, die im „Arbeitserziehungslager Reichenau“ ermordet wurden oder an den Folgen der Inhaftierung starben, ihre Lebensgeschichten und bekannten Todesursachen werden durch genaue Beschreibungen der damaligen Bedingungen im Lager ergänzt.

Die Broschüre "Gedenkort Lager Reichenau: Geschichte und Zukunft" ist in gedruckter Form im Stadtarchiv Innsbruck sowie im Online-Shop des Stadtarchivs unter www.innsbruck.gv.at/shop erhältlich.
Die Broschüre "Gedenkort Lager Reichenau: Geschichte und Zukunft" ist in gedruckter Form im Stadtarchiv Innsbruck sowie im Online-Shop des Stadtarchivs unter www.innsbruck.gv.at/shop erhältlich.

Die Nachnutzung des Lager-Areals, das auch nach Kriegsende weiterbestand, behandelt der Artikel des Historikers Horst Schreiber (Mitglied der ExpertInnenkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des AEL Reichenau) Direkt nach Kriegsende folgte die Nutzung als Heeresauffanglager sowie als Transitlager für Displaced Persons, die aus ihren Heimatländern vertrieben worden waren. Ab November 1945 wurde der Lagerkomplex auch für politische Häftlinge genutzt: Ehemalige Tiroler NS-Funktionäre wurden in den Lagern der Reichenau untergebracht und mussten durch körperliche Arbeit ihren Beitrag zum Wiederaufbau Tirols leisten. Zeitweise waren dort bis Oktober 1946 rund ein Drittel (496) der 1.394 in Tirol inhaftierten ehemaligen NationalsozialistInnen untergebracht. Ab 1946 wurden mehrere ehemalige Baracken des Lagers von der Stadt Innsbruck umgebaut und als Notwohnungen für Bedürftige genutzt, bevor die BewohnerInnen ab den 1960ern abgesiedelt und die Baracken schrittweise abgerissen wurden, die letzte Baracke stand bis 6. Dezember 1969. Heute befindet sich ein Teil des Gewerbegebiets Rossau auf dem Areal.

Im dritten Artikel der Broschüre behandeln Barbara Hausmair, David Imre und Barbara Pöll die archäologische Untersuchung des Lagerkomplexes und daraus resultierender Einblicke in die damaligen Bedingungen: Luftbilder machen den Umfang und die baulichen Bestandteile der verschiedenen Lager in der Reichenau deutlich. Im Boden wurden durch Georadarmessungen, die ab 2022 durchgeführt wurden, Hinweise auf mögliche Hinterlassenschaften gefunden. Im Jahr 2023 fanden die ersten archäologischen Ausgrabungen statt, bei der Überreste ehemaliger Baracken gefunden wurden, die beispielsweise Aufschluss über die bewusst minderwertige Konstruktion der Unterkünfte liefern.

Beim vierten Beitrag der Broschüre handelt es sich um ein ausführliches Interview: Tobias Rettenbacher (Stadtarchiv Innsbruck) sprach für den städtischen Podcast „Archivwürdig“ mit Hermann Zschiegner, Karl-Heinz Machat, Heike Bablick und Ricarda Denzer von der Werkgemeinschaft über die Konzeption und Umsetzung des neuen Gedenkorts Reichenau. Das Interview kann zudem in voller Länge unter www.innsbruck.gv.at/podcasts (Archivwürdig, Staffel 3, Folge 8) angehört werden.

Gedenkort Reichenau
Der „Gedenkort Reichenau“ entsteht in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Lager-Areals: Am Innufer östlich der Grenobler Brücke wird ein offener Pavillon mit einer Dachskulptur errichtet, der den Beginn des Gedenkorts markiert und in dem sich Informationen zum Lagerkomplex Reichenau finden. Entlang von Zeitstrahlen am Boden – die die Monate, in denen das Lager bestand, markieren – werden entsprechend des Todesdatums der Opfer „Namenssteine“ aus Beton und Glasterrazzo erreichtet. Weitere Bodenelemente, die sich zu einer Welle erheben, verdeutlichen die Anzahl der Menschen, die im Lagerkomplex Reichenau inhaftiert wurden. Begleitend zum physischen Gedenkort werden ein Audioweg und eine Website entstehen.

Für den Audioweg können Stimmenpatenschaften übernommen werden: Menschen, die mit ihrer Stimme an den Namen eines der 114 derzeit bekannten Opfer erinnern möchten, sind gebeten, sich per Mail an patenschaft@gedenkort-reichenau.at zu melden. Weitere Informationen unter: www.gedenkort-reichenau.at

Zusätzlich wird die Umsetzung durch eine Vortragsreihe der Stadt Innsbruck in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte (Leopold-Franzens-Universität Innsbruck) begleitet, die weiteren Termine finden sich auf der Website der LFU Innsbruck.

Die Broschüre „Gedenkort Reichenau: Geschichte und Zukunft“ ist im Stadtarchiv Innsbruck (Badgasse 2) ab Montag, den 28. Juli erhältlich, kann im Online-Shop des Stadtarchivs unter www.innsbruck.gv.at/shop bestellt und unter www.innsbruck.gv.at/gedenkort-broschuere als PDF online abgerufen werden.

Im Herbst 2025 wird zudem eine zweite Broschüre erscheinen, die Kurzbiografien der 114 derzeit bekannten Opfer des Lagerkomplexes Reichenau beinhält. FB